MAN Truck & Bus

Ein Portraitfoto von Ismail Ertug.

Bei der Mobilitätswende gibt es noch viel zu tun

Interview mit Ismail Ertug, Verkehrsexperte im Europäischen Parlament, Brüssel

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Ismail Ertug (SPD) ist Mitglied des Europäischen Parlaments. Der Verkehrsexperte will die Emissionen des Transportsektors deutlich reduzieren – auch privat: Sein nächstes Auto wird ein Plug-in-Hybrid oder ein reines Elektroauto sein. 

Welche Rolle spielen der ÖPNV und E-Busse für den Klimaschutz in der EU? In der öffentlichen Kommunikation redet man meistens nur über Pkw.

Ismail Ertug Die Nutzfahrzeuge spielen eine wichtige Rolle, sie werden definitiv nicht von uns vergessen. Allerdings wird das Thema „Klimaschutz“ in der Kommunikation häufig durch die Pkw dominiert. Doch sowohl Nutzfahrzeuge als auch Pkw fahren auf denselben Straßen und emittieren rund 30 Prozent aller CO2-Emissionen. Andere Sektoren haben hier schon massiv eingespart, der Verkehrssektor leider noch nicht. So sind die Emissionen im Lkw-Güterverkehr EU-weit beispielsweise seit 1990 um 25 Prozent gestiegen. Es gibt also noch viel zu tun, und daran arbeiten wir zusammen mit den Mitgliedsstaaten. Beim ÖPNV beispielsweise muss bezahlbare und individuelle Mobilität gewährleistet sein, um auch das Problem der ersten und letzten Meile optimal zu lösen. Hier müssen neue Möglichkeiten gefunden werden, wie zum Beispiel E-Bikes, E-Scooter oder irgendwann das autonome Fahren – von dem ich übrigens ein großer Fan bin. Das könnte eine tolle Lösung für den ÖPNV im ländlichen Raum sein und einen großen Beitrag zu Zero Emission leisten. 

Wie weit ist die Mobilitätswende in der EU schon vorangekommen? Was muss noch getan werden?

Ismail Ertug Man muss wissen, dass wir – auch in Deutschland – noch sehr auf den Straßenverkehr fokussiert sind. Auch beim Transport von Gütern. Doch neben der Straße gibt es natürlich noch die Modi Schiene, Luft und Wasser. Wir versuchen aktuell, die anderen, vermeintlich umweltfreundlicheren Modi zu ertüchtigen, hier ordentlich mit Gas zu geben. Auf der Schiene machen wir schon große Fortschritte mit neuen Digitalisierungs-Technologien. Laut der Deutschen Bahn sollen dadurch 20 Prozent mehr Beförderungskapazität möglich sein, ohne einen Meter zusätzliche Gleise bauen zu müssen. Uns muss es gelingen, die CO2-Emissionen im gesamten Verkehr durch den Ausbau der Elektrifizierung, der Wasserstofftechnologien und durch die Landstromversorgung für den Luft- und Schiffsverkehr zu reduzieren und weg von Dieselantriebstechniken zu kommen. 

Gibt es ein EU-Land, das besonders weit vorne ist in puncto Mobilitätswende?

Ismail Ertug Auf der Schiene sind die Schweiz und Österreich ganz weit vorn, sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr. Diese beiden Länder investieren pro Kopf deutlich mehr in den Schienenverkehr als Deutschland. Im Bereich der alternativen Infrastruktur sind die Niederlande sehr gut: Pro Kopf sind sie die Nummer eins in Sachen Elektroauto – sogar noch vor Norwegen: In den Niederlanden teilten sich 2021 109 Autos einen Ladepunkt. In Norwegen waren es 147 Autos pro Ladepunkt. 

Ein Portraitfoto von Ismail Ertug, während er eine Rede hält.

 

 

Beim Öpnv muss Bezahlbare und Individuelle Mobilität gewährleistet sein,  um auch das Problem der ersten und letzten meile optimal zu lösen.

Ismail Ertug (SPD) 
Mitglied des Europäischen Parlaments

 

Wie steht Deutschland aktuell da? Machen wir einen guten Job bezüglich alternativer Antriebe und Ladeinfrastruktur?

Ismail Ertug Deutschland lag 2021 mit 1.014 Autos pro Ladesäule auf Rang 12 in Europa. Da ist also noch Luft nach oben. Anfang 2022 wurde hier jedoch investiert und nachgebessert. Aber generell müssen wir uns ordentlich ins Zeug legen, um die Ziele des Klimaabkommens zu erreichen. Noch wird viel geredet, jetzt müssen Taten folgen. Der private Sektor, zum Beispiel Tesla, IONITY und EnBW, haben im Bereich Ladeinfrastruktur schon viel getan. Jetzt muss die öffentliche Hand nachziehen. Allerdings sind in diesem Punkt das größte Problem der Europäischen Union deren Mitgliedsstaaten. Es wird immer wieder vieles verhindert und kein Konsens gefunden. Hätten wir 2014 der Richtlinie zu einer alternativen Infrastruktur entsprochen, die die Kommission uns vorgegeben hat, hätten wir Ende 2020 schon 677.000 öffentliche Ladepunkte in Europa gehabt. Leider wurde das damals zerschossen, woran auch die Automobilindustrie einen großen Anteil hatte. Dadurch haben wir leider sieben Jahre verloren. Und das fällt uns jetzt vor die Füße. Seit dem Abgasskandal und der CO2-Flottengrenzwerte-Verordnung kommt in dieses Thema nun aber endlich Bewegung rein. Jetzt ziehen endlich NGOs, Gewerkschaften, Industrie und Politik an einem Strang. Somit kann ich resümieren: Wir sind aktuell auf einem guten Weg.

Wie bewegen Sie sich selbst fort? Carsharing? Fahrrad? Bus und Bahn? Oder doch der gute alte V8?

Ismail Ertug Wenn ich in Brüssel bin, fahre ich ausschließlich mit dem E-Bike. Das sind immerhin vier Tage in der Woche. Für mich ist das E-Bike in der Stadt das perfekte Fortbewegungsmittel. Zu Hause kann ich, da wir eher ländlich am Stadtrand wohnen, vieles zu Fuß erreichen. Für längere Strecken, zum Beispiel, wenn ich nach Straßburg muss, bin ich mit einem kleinen Benziner unterwegs. Der ist einfach noch zu gut und neu, um ihn auszusortieren. Mein nächstes Auto wird dann aber definitiv ein Plug-in-Hybrid oder ein reines Elektroauto.

Text   Boris Pieritz, Christian Jeß
Fotos   Ismail Ertug, European Union, Shutterstock, MAN

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