MAN Truck & Bus

Albert Zaindl, Chef-Entwickler des Spiegelersatzsystems MAN OptiView

Es gibt keinen toten Winkel mehr

 

Das neue Assistenzsystem MAN OptiView sorgt für mehr Sicherheit in vielen Situationen. Denn der Fahrer hat alles rund um seinen Lkw im Blick. Entwickler Albert Zaindl berichtet, wie die erfolgreiche Entwicklung dieses komplexen Systems abgelaufen ist.

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Albert Zaindl (37)

ist der Mann hinter dem neuen OptiView-System von MAN  und der Systemverantwortliche für das Spiegelersatzsystem im Lkw.

Herr Zaindl, im vergangenen Jahr waren Sie mehrmals bei knapp 40 Grad Celsius Außentemperatur in Spanien unterwegs. Warum?

Zaindl Da haben wir unsere Sommererprobung durchgeführt und getestet, wie unser Spiegelersatz OptiView bei hohen Temperaturen funktioniert. Im Winter haben wir ähnliche Tests in Lappland gemacht – bei minus 30 Grad Celsius – und dabei einige Probleme finden und beheben können. Zum Beispiel haben wir festgestellt, dass die Heizung, die wir für Minustemperaturen eingeplant hatten, kontraproduktiv sein kann. Bei bestimmten Temperaturen hat sie nämlich dafür gesorgt, dass sich Eiszapfen an der Kameralinse bilden. Außerdem sind zum Beispiel die Lichtverhältnisse im Norden komplett anders als im Süden und den Einfluss auf das System können wir nur vor Ort erfahren. Erprobungen gehören zur Entwicklung eines neuen Produkts dazu und sind wirklich sehr hilfreich, weil man dabei immer auf Probleme stößt, auf die man in der Theorie gar nicht gekommen wäre.

MAN OptiView ist sozusagen Ihr „Baby“. Sie haben das System von Grund auf entwickelt und bis zur Serienreife gebracht. Wie kamen Sie eigentlich dazu?

Zaindl Ich habe Maschinenbau studiert und mich schon im Rahmen des Studiums mit der menschlichen Wahrnehmung beschäftigt. 2011 steckte ich gerade mitten in meiner Doktorarbeit, als MAN ein Forschungsprojekt zu Spiegelersatz zusammen mit der TUM aufgesetzt hat. Mein Professor hat mich aufgrund meiner Vorkenntnisse für das Projekt vorgeschlagen. Das fand ich natürlich total spannend und habe zugesagt. Dann habe ich erstmal drei Jahre lang im Rahmen eines Forschungsprojekts die Idee entwickelt und sie später in der Serienentwicklung reif für die Produktion gemacht.

Können Sie kurz erklären, was OptiView ist und was es besonders macht?

Zaindl OptiView ist ein Spiegelersatzsystem für Lkw. Damit können die Fahrer auf einem Display das sehen, was ihnen vorher die verschiedenen Spiegel gezeigt haben – und noch mehr. Bei OptiView gibt es nämlich keinen toten Winkel mehr. Außerdem liefert das System automatisch zusätzliche Ansichten, die in verschiedenen Fahrsituationen zugeschaltet werden. In der Stadt ist das zum Beispiel eine überdimensionale Weitwinkelansicht, bei der schnellen Fahrt auf der Autobahn eine Zoomansicht. So haben die Fahrer immer alles optimal im Blick. Das sorgt übrigens auch für mehr Sicherheit bei der Übernachtung auf dem Rastplatz: Wenn sich draußen etwas rührt, braucht man nur das System einzuschalten und sieht genau, was rund um den Lkw passiert. Man muss also nicht mehr die Vorhänge öffnen oder gar aussteigen und sich dabei eventuell in Gefahr bringen

Wie sind Sie bei der Entwicklung dieses ganz neuen und so komplexen Produkts konkret vorgegangen?

Zaindl Im ersten Schritt ging es darum, den Status quo zu ermitteln. Sich also anzuschauen, wie Fahrer die Spiegel wirklich nutzen. Dazu haben meine Kollegen und ich zum Beispiel Unfallstatistiken ausgewertet und Fahrversuche gemacht, bei denen die Fahrer mit Kameras ausgestattete Brillen trugen, die die Augenbewegungen gefilmt haben. Auf dieser Grundlage sind dann die ersten Konzepte entstanden. Im nächsten Schritt haben wir mit Teilen aus dem normalen Elektrohandel erste, einfache Spiegelersatzsysteme gebaut und in Testfahrzeuge integriert. Damit konnte man schnell sehen, was funktioniert und was nicht und auch immer wieder sehr schnell und kostengünstig Dinge ändern.

Als Entwickler ist man also vor allem Tüftler?

Zaindl In der Forschung auf jeden Fall, da kann und muss man Vieles frei ausprobieren. In der Serienentwicklung sieht das anders aus. Da geht es dann ja darum, die Produktidee so weiterzuentwickeln, dass sie auch tatsächlich in Serie hergestellt werden kann und im Alltag funktioniert. Das ist ein ganz anderes Arbeiten.

Was passiert während der Serienentwicklung genau?

Zaindl (lacht) Das habe ich mich auf gefragt, als ich nach Beendigung des Forschungsprojekts zu OptiView dort eingestiegen bin. Ich dachte: Wir haben doch schon alles und können demnächst mit der Produktion loslegen. Aber tatsächlich geht in der Serienentwicklung die Arbeit erst richtig los. Zum Einen muss das System nutzfahrzeugfähig gemacht werden – also ein Lkw-Leben unter härtesten Praxisbedingungen und bei jeder Situation problemlos durchhalten. Dazu müssen viele Komponenten- und Fahrtests gemacht werden und immer wieder Optimierungen stattfinden. All das natürlich im engen Austausch mit den Zulieferern und auch mit anderen Abteilungen bei MAN. Im Fall von OptiView musste auch ein komplett neues System von Null entwickelt werden. Und natürlich muss das Produkt so optimiert sein, dass es schnell und effizient am Band produziert werden kann. Das ist alles nicht banal und dauert seine Zeit. Wir haben rund zehn Jahre von der ersten Idee bis zur Serienreife gebraucht.

Glauben Sie, dass man als Entwickler eine besondere Mentalität braucht?

Zaindl Der Weg von der ersten Idee bis zum serienreifen Produkt ist lang. Darauf sollte man vorbereitet sein. Und auch darauf, dass es immer mal wieder Rückschläge gibt oder man Dinge noch mal ganz neu denken muss. Da heißt es dann: Ärmel hoch und weitermachen. Diese Einstellung braucht man, glaube ich, schon.

Mit welchem Gefühl schauen Sie denn auf die Markteinführung von MAN OptiView, die ja ab Ende diesen Jahres ansteht?

Zaindl Ich bin natürlich total gespannt, wie das System im Markt ankommen wird. Bei unseren Testläufen mit Fahrern war das Feedback sehr gut, aber natürlich wird es auch Leute geben, die weiterhin lieber mit Spiegeln fahren. Darauf bin ich aber vorbereitet. Ich freue mich vor allem, dass OptiView jetzt endlich auf die Straße kommt.

Wie ist Ihr Fazit nach rund zehn Jahren Entwicklungszeit?

Zaindl Für mich war und ist es eine tolle Chance, ein Produkt von Null an entwickeln zu können. Dabei gab es natürlich auch immer wieder schwierige Momente, aber die Freude an der Arbeit hat eindeutig überwogen. Ich habe fachlich, aber auch menschlich in dieser Zeit viel gelernt. Zum Beispiel, wie wichtig es ist, dass in einem Team Kollegen und Kolleginnen mit unterschiedlichen Kompetenzen, aber auch Charakteren zusammenarbeiten. Es ist unheimlich hilfreich, wenn man in der Sache auch mal kontrovers diskutieren kann. Das bringt ein Projekt erst richtig voran. Immer vorausgesetzt, dass man menschlich kollegial und verbindlich bleibt. Und das war und ist bei uns immer so.

Wie geht es denn für Sie und Ihr Team weiter, wenn MAN OptiView auf der Straße ist?

Zaindl Das ist aktuell noch offen. Was ich aber sagen kann: Wir haben schon viele Ideen für die zweite Generation des Systems!

Text   Dagmar Puh
Fotos   Privat

#Lkw#Assistenzsysteme#Sicherheit#TGX

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