MAN Truck & Bus
Es blitzt und blinkt Beim 3D-Druck werden die Ausgangsmaterialien mithilfe eines Präzisionslasers verschmolzen.
Unermüdlich malt der Laser seine Feuerschnur. Dort, wo der schimmernde Lichtstrahl auf das feine Metallpulver auf der Bodenplatte des 3D-Druckers trifft, sprühen wie bei einer Wunderkerze Funken in alle Richtungen. Als sie verglühen, ist am Boden ein rechteckiger Umriss aus Metall zu erkennen. Doch nur für einen Moment. Sekunden später verteilt von links kommend eine Rakel die nächste hauchdünne Schicht des grauen Metallpulvers über dem Boden und die Form verschwindet. Wieder schießt der Laser von der Decke der Kammer hinunter. Der Funkentanz verrät, wo in dem platten Metallpulver-Bett das Werkstück langsam emporwächst. Ganze sechs Stunden später ist das Teil fertig. Es steckt in einem 15 Zentimeter hohen Plateau aus Metallpulver und wird nun mit einem Saugrohr freigelegt. Zum Vorschein kommt ein Thermostatgehäuse aus Aluminium.
Das brandneue Bauteil ist eigentlich ein Oldie: Es wird als Ersatzteil in einem über 30 Jahre alten MAN-Lkw benötigt. Noch ist das Gehäuse fest mit der Druckerplatte verschmolzen und muss nun von ihr gelöst werden. Aus sicherer Entfernung beobachten Dr. Peter Scharf und Marcel Flügel den Prozess. Scharf ist ein anerkannter MAN-Experte für neue Materialkonzepte und Oberflächenfunktionalisierung und im Werk in Nürnberg tätig. Flügel ist Projektleiter in der zentralen Produktionsplanung für Lkw in München. Ein paar Minuten später beugen sich die beiden für eine erste Begutachtung über das Thermostatgehäuse.
Marcel Flügel nimmt das Ersatzteil in die Hand. Er betrachtet es von allen Seiten und erklärt, wo aus seiner Sicht das große Potenzial des 3D-Drucks liegt: „Das Verfahren bietet uns ein Maß an Designfreiheit, das es so bisher nicht gab. Im 3D-Druck können wir zum Beispiel außergewöhnliche Formen und Oberflächen produzieren, auch in kleiner Stückzahl, ohne dass die Herstellung zu komplex wird. Das ist bei klassischen Fertigungstechniken wie Schmieden oder Fräsen so nicht möglich.“
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Zu Besuch bei Freunden Die MAN Experten für 3D-Druck Marcel Flügel (links) und Peter Scharf sind für den Druck von Ersatzteilen ins 3D-Druckzentrum von Audi nach Ingolstadt gekommen und stimmen sich vor Druckbeginn am Eingang der 3D-Druck Fertigungshalle noch einmal mit Martin Bock ab, Projektleiter im 3D-Druckzentrum Metall.
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Startschuss Gerade wurde neues Metallpulver in den Drucker gefüllt, das nun vom Anlagenführer gleichmäßig verteilt wird. Eins der Herzstücke der Druckanlage: der Siebstation zur Pulveraufbereitung (rechts).
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Die Vorbereitungen sind abgeschlossen Der Anlagenführer startet an einem Monitor den Druckjob und sofort fliegen die ersten Funken. Bis das Werkstück fertig ist, dauert es einige Stunden.
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Dicht an Dicht Wenn der Druck abgeschlossen ist, werden die Stützstrukturen, die das Werkstück in der richtigen Position auf der Druckplatte fixieren, entfernt. So kommen die effizient im Druckraum positionierten Werkstücke aus dem Drucker. Auch hier werden die Stützstrukturen im Anschluss entfernt.
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Unterm Mikroskop Für jeden 3D-Baujob werden aus demselben Material mitgedruckte Proben einer metallographischen Untersuchung unterzogen. Typisches Gefügebild einer 3D- gedruckten Aluminium-Silizium-Legierung (rechts). Die so genannten Mikroschweissungen müssen bei der vergrößerten Beurteilung einwandfrei aussehen.
Auch Peter Scharf schaut sich das Thermostatgehäuse aus der Nähe an. Er war es, der den 3D-Druck bei MAN auf den Weg brachte. In seiner Funktion als Technologie-Scout hatte der Ingenieur das Verfahren im Jahr 2013 zum ersten Mal live erlebt. Ihm war sofort klar, dass es eine große Rolle in einer zunehmend digitalisierten Nutzfahrzeugbranche spielen würde, in der es auf schnelle Reaktionszeiten ankommt. „Wir haben deshalb keine Zeit verschwendet und schnell mit dem Druck von Probekörpern begonnen“, berichtet er.
Diese ersten Versuche liegen nun schon ein paar Jahre zurück. MAN hat sich seitdem fundiertes Know-how in Sachen 3D-Druck erarbeitet. Durch die Teilnahme an Forschungsprojekten baut das Unternehmen seine Kompetenzen in dem Bereich kontinuierlich aus. „Wir wissen sehr genau, für welche Anwendungsfälle sich eine Fertigung im 3D-Druck eignet und wann sie zum Beispiel wegen zu hoher Kosten keinen Sinn macht“, sagt Marcel Flügel. „Sehr vielversprechend ist das Drucken – wie im Fall dieses Thermostatgehäuses – für den Bereich After Sales. Selten benötigte Ersatzteile für ältere Lkw oder Busse – oder auch von alten Traktoren – können on demand angefertigt werden. Dadurch entfällt die teure Lagerung der Bauteile und der dazugehörigen Werkzeuge.“
Auch im Segment Fahrzeugindividualisierung kann MAN mithilfe des 3D-Drucks punkten. Dort lassen sich nach Kundenwunsch maßgeschneiderte Bauteile schnell realisieren, auch in geringen Stückzahlen. Ein weiterer Vorteil: Durch den 3D-Druck verkürzen sich Entwicklungszyklen für Bauteile und Prototypen.
3D-Druck spielt eine große Rolle in der zunehmend digitalisierten Nutzfahrzeugbranche, in der es auf schnelle Reaktionszeiten ankommt.
Im 3D-Druck können wir zum Beispiel außergewöhnliche Formen und Oberflächen produzieren, auch in kleiner Stückzahl, ohne dass die Herstellung zu komplex wird.
MAN verfügt zurzeit über vier 3D-Drucker für Bauteile aus Kunststoff. Für den Druck von Metallteilen arbeitet das Unternehmen eng mit Audi zusammen. Peter Scharf und Marcel Flügel stehen regelmäßig in Kontakt mit dem Metall 3D-Druckzentrum und dem Kunststoff 3D-Druck Zentrum von Audi, beide am Standort in Ingolstadt gelegen, um beispielsweise Prototypen und Ersatzteile zu realisieren. Für den reibungslosen Ablauf wurde ein genauer Beauftragungs-Workflow etabliert.
Heute sind Scharf und Flügel für die Fertigung des Thermostatgehäuses und Prototypen vor Ort in Ingolstadt. „Die Koordination mit Audi klappt sehr gut“, sagt Peter Scharf, während im Hintergrund alles für den nächsten Druck vorbereitet wird. „Sowohl der menschliche Kontakt als auch der fachliche Austausch sind eine Bereicherung für uns.“ Die Kooperation sei zudem das beste Beispiel für die Smart Innovators Strategie von MAN. „Es geht darum, nicht alles selbst machen zu wollen oder gleich in Anlagen zu investieren, sondern gemeinschaftlich Synergien, Potenziale und Know-how zu nutzen“, führt Marcel Flügel aus und blickt dann in Richtung der Druckanlage, wo ein Kollege gerade den Vorratsbehälter mit dem sehr feinen Metallpulver auffüllt. Damit er keinen Metallstaub einatmet, trägt er eine Schutzausrüstung mit Mundschutz, Filter und Visier. Die 3D-Daten für das nächste Objekt, die so genannten STL-Dateien, sind schon in das System eingespeist worden. Der Kollege schließt die Tür zum Vorratsbehälter und startet über ein Display außen am Gehäuse den Druckvorgang.
Laufe alles optimal, könne ein Bauteil ab Erstellung der STL-Dateien in drei bis vier Tagen realisiert werden, so die Experten Scharf und Flügel. „Parallel dazu drucken wir Proben, um die Materialeigenschaften zu prüfen“, erklärt Peter Scharf. Die Freigabe eines Teils erfolgt erst nach einer genauen Qualitätsprüfung auf Risse, Fehlstellen oder andere Mängel. Auch das Thermostatgehäuse erwartet in der Zentralen Werkstofftechnik in Nürnberg eine strenge Kontrolle. Peter Scharf legt das Teil und noch fertige Prototypen zum Transport in einen stabile Box.
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Schicht für Schicht Durch ein Sichtfenster im Drucker beobachten die MAN Experten Peter Scharf (Mitte) und Marcel Flügel (rechts), wie das Ersatzteil nach und nach aufgebaut wird. Martin Bock leistet ihnen Gesellschaft.
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Spannung pur Den Druckvorgang findet Peter Scharf immer wieder spannend. Besser findet er nur den Moment, wenn das fertige Werkstück vom überschüssigen Metallpulver befreit wird.
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Fast schon heimisch Marcel Flügel (links) und Peter Scharf arbeiten mehrmals im Monat für 3D-Drucke mit dem MAN Partner Audi zusammen – ganz im Sinne der Smart Innovators Strategie von MAN, die auf den Austausch von Wissen und die Nutzung von Synergien setzt.
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Auf Herz und Nieren Werkstücke, die im 3D-Druck entstehen, unterzieht MAN einer ausführlichen Qualitätsprüfung. Hier begutachtet Peter Scharf eine gedruckte Zugprobe, die in die Zugprüfmaschine mit Dehnungsaufnehmer eingespannt ist. Der Test gibt Auskunft über die Belastbarkeit des Materials.
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Das Ergebnis So sieht ein fertig gedruckter Helmholtz Resonator auf Basis eines Pulvers aus Aluminium-Silizium-Legierung (AlSi10Mg) aus. Länge: 160 Millimeter, Durchmesser: 180 Millimeter.
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Erster Qualitätscheck Die 3D-Experten prüfen den fertig gedruckten Ladeluftkrümmer auf sichtbare Risse und andere Mängel.
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Alles in Ordnung Peter Scharf nimmt die fertigen Bauteile von Martin Bock in Empfang.
Trotz der Vielzahl neuer Möglichkeiten: Von einer Revolution im Nutzfahrzeugbau würden die beiden MAN-Experten im Zusammenhang mit dem 3D-Druck derzeit noch nicht sprechen. „Bei sicherheitsrelevanten Bauteilen muss man beispielsweise aufpassen, weil hier das Langzeitverhalten noch nicht ausreichend erprobt werden konnte“, gibt Peter Scharf zu bedenken. „Bauteile wie Thermostatgehäuse, Kühlmittelkrümmer, Geldfächer oder Becherhalter sind dagegen überhaupt kein Problem.“
Marcel Flügel fügt hinzu, dass ein 3D-Druck nicht in jedem Fall wirtschaftlich sei: „Für große Bauteile und hohe Stückzahlen sind die Drucker noch nicht schnell genug. Bei den so genannten Aufbauraten erwarten wir in den nächsten zwei bis drei Jahren aber große Fortschritte.“
Mit den fertigen Bauteilen im Gepäck machen sich Peter Scharf und Marcel Flügel bereit zum Aufbruch. „Wir wollen den 3D-Druck möglichst bald in der Serienproduktion einsetzen, zum Beispiel für Teile im Interieur und Exterieur des Fahrerhauses“, definiert Flügel das Ziel für die nähere Zukunft. „Wir stehen in den Startlöchern, die Technologie in der Bandbreite zu nutzen, die sie bietet.“
Um den Prozess zu beschleunigen, nutzt MAN die vorhandenen Ressourcen im VW-Konzern. Marcel Flügel und Peter Scharf sind Teil der über 500 Mitglieder zählenden Volkswagen 3D-Druck-Community und tauschen sich regelmäßig im Konzerntechnologiekreis 3D-Druck über Erfahrungen und Innovationen aus. Bei MAN selbst sorgt ein alle Abteilungen übergreifender Markenarbeitskreis mit rund 30 Mitgliedern dafür, Wissen über die Möglichkeiten des 3D-Drucks im Unternehmen zu verbreiten. „Bald wird es auch ein webbasiertes Training zum Thema geben“, kündigt Marcel Flügel an. „Damit können sich alle MAN-Mitarbeitenden in 30 bis 45 Minuten erstes Grundlagenwissen über den 3D-Druck aneignen.“
Die sicherste Methode, um Feuer für die Technologie zu fangen, ist laut Peter Scharf jedoch, sich einen 3D-Druck anzuschauen – vor allem das Finale: „Ich finde es immer wieder spannend zu beobachten, wie das überschüssige Pulver abgesaugt wird. Das erinnert mich an archäologische Ausgrabungen, wo am Ende, von Sand und Staub befreit, der Schatz zum Vorschein kommt.“
„Wir stehen in den Startlöchern, die Technologie in der Bandbreite zu nutzen, die sie bietet.“
Text Susanne Theisen
Fotos Felix von der Osten / Kayla Kauffmann