MAN Truck & Bus

Ein goldfarbener MAN TGX fährt durch MünchenEin goldfarbener MAN TGX fährt durch München

SO REVOLUTIONIERT OptiView DAS LKW-FAHREN

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Eine Lkw-Testfahrt ohne Außenspiegel? Was zunächst riskant erscheinen mag, ist vielmehr der Test eines neuen, innovativen Spiegelersatzsystems, das die klassischen Außenspiegel obsolet macht. Fachjournalist Jan Burgdorf unterzieht das System namens MAN OptiView einem echten Härtetest unter realen Bedingungen. Eine Reportage mit Weitblick.

Portrait des Journalisten Jan Burgdorf
Roter Pfeil nach rechts

Testfahrer mit Expertise Fachjournalist Jan Burgdorf, Redakteur der Magazine „Trucker“ und „Verkehrsrundschau“.

An einem scheinbar normalen Donnerstag hat Jan Burgdorf etwas Besonderes vor. Als erster Fachjournalist Deutschlands prüft er das Kamerasystem, das MAN von 2022 an für seine Trucks anbietet – an Stelle von Spiegeln. Startpunkt ist, um 9.30 Uhr, das MAN Truck Forum. Burgdorf steigt ins Cockpit eines goldfarbenen TGX. Fünf Stunden später, bei einem Espresso in der „MAN Lion´s Lounge“ des Besucherzentrums, sein Fazit: „Das System gefällt mir wirklich gut. MAN ist einen Schritt weiter gegangen als der Markt.“

Was Burgdorf heute testet, ist das Ergebnis kontinuierlicher Ingenieursarbeit. Denn die erst im Februar 2020 vollständig neu vorgestellte Truck Generation wird mit zahlreichen vor kurzem angekündigten neuen Features noch besser. Mehr Sicherheit und mehr Komfort für die Fahrer, vor allem darum geht es – und auch darum, mit bis zu 3,7 Prozent weniger Diesel auszukommen, etwa durch neue Antriebsfunktionen.

Verbrauchseffizienz nutzt der Umwelt und spart Geld. „Unternehmer werden das ziemlich gut finden“, sagt Burgdorf. Die meisten Fahrer wohl auch, zumal Verbesserungen wie die Drehzahlabsenkung beim Rollen im Leerlauf das Fahrgefühl nicht beeinträchtigen. Der Schwung, den ein 40-Tonner bei einer Talfahrt gewinnt, wird dadurch besser ausgenutzt, aber, so Burgdorf: „Eine Neuerung, die den meisten Fahrern/innen wahrscheinlich nicht auffallen dürfte.“ Eine weitere Optimierung ist die Drehmomentanpassung, die am Berg Last vom Motor nimmt und den Truck minimal langsamer fahren lässt. Der Clou aber ist die verbrauchsneutral gestaltete Sonnenblende. „Ein Indiz dafür ist, dass man keine Windgeräusche mehr hört“, sagt der Journalist. „Künftig muss niemand mehr bei MAN auf eine Sonnenblende verzichten, nur weil er Kraftstoff sparen will.“ MAN entschärft damit einen alten Konflikt zwischen Unternehmern, die wirtschaftlich denken, und Fahrern, die auf das schicke Teil nicht verzichten wollen. Burgdorfs Fazit: „In punkto Spritsparen ist MAN ganz vorne mit dabei.“

Das Unfallrisiko sinkt

Eine Veränderung fällt sofort ins Auge: Der Lkw hat keine Außenspiegel. Deren Aufgabe übernimmt MAN OptiView, so der Name des Spiegelersatzsystems. Burgdorf zeigt nach oben: Rechts und links vorne, knapp unter dem Dach, sitzen kleine Kameras in einklappbaren Gehäusearmen. Sie übertragen die Bilder auf Displays an der A-Säule, beim Frontspiegel-Ersatz zusätzlich auf den Navi-Bildschirm. Jan Burgdorf ist begeistert. „Der Fahrer sieht einfach mehr“, sagt er. Tote Winkel gehören mit dem System der Vergangenheit an, weil die Kamerasoftware verschiedene Perspektiven zusammenführt. Und weil kein Spiegelgehäuse die Fahrerperspektive einschränkt, sinkt auch das Unfallrisiko.

Seit zehn Jahren schreibt der 43-Jährige über Güterverkehr und Logistik, für das Fahrermagazin „Trucker“ und für die „Verkehrsrundschau“, die sich an Unternehmer richtet. Überdies ist er ein erfahrener Anwender, der schon während seines Zivildienstes den Lkw-Führerschein erworben hatte. Damals fuhr er Hilfslieferungen, meistens nach Rumänien. Auch vor und während seines Studiums zum Diplom-Redakteur saß er immer wieder hinter dem Lenkrad, transportierte flüssige Schokolade, große Messestände und Bühnenaufbauten. „Die Erfahrungen kommen mir heute zugute“, sagt Burgdorf. Er weiß, was für Fahrer wichtig ist und worauf es ihnen ankommt. Das Spiegelersatzsystem, das ist für ihn klar, wird für viele einen Einschnitt darstellen: „Es ist definitiv eine Umstellung.“ In seinen Augen eine, die lohnt – und sich durchsetzen wird. „In zehn Jahren haben wir das alle.“

Vorteile des Systems

Der Journalist hat sich Zeit genommen, um sich ein Urteil bilden zu können. Vom MAN Truck Forum in Karlsfeld bei München ist er Richtung Norden gefahren, hat getestet, wie sich das System in Kreiseln bewährt. Und in Unterführungen – dort hellen sich, dank lichtempfindlicher Sensoren, die Displays automatisch auf. Zugleich verhindern Spezialfilter, dass – wie es bei Spiegeln vorkommen kann – die Scheinwerfer rückwärtiger Fahrzeuge den Fahrer blenden. Von Regen und Spritzwasser lassen sich die Kameras nicht irritieren, auch das hat Burgdorf feststellen können. Die Ingenieure haben die Gehäuse so konstruiert, dass die Linsen frei bleiben und die Bildqualität gleichbleibend gut ist. „Super ist auch, dass man im Winter keine Spiegel freikratzen muss“: Die Kameras sind beheizt.

Das System bietet mehrere Ansichten: neben der Standardoptik konventioneller Spiegel gibt es eine Zoom- und eine Weitwinkelansicht, die dem Fahrer einen Rundum-Blick erlaubt. Zudem wurden Front- und Rampenspiegel digitalisiert und verbessern so die Sicht auf das Geschehen neben und direkt vor dem Fahrzeug. „Das haben wir vorhin mit einem Fußgänger ausprobiert“, sagt Burgdorf. Mit 15 Zoll an der Beifahrer- und 12 Zoll an der Fahrerseite seien die Displays schön groß. Auch die Bildwiedergabe sei gut, trotz einer leichten Unschärfe. Die sei kein MAN-Spezifikum, sondern Stand der Technik. „In einigen Jahren aber wird es da sicher einen Fortschritt geben.“

Spiegelersatzsystem MAN OptiView: Detailaufnahme
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Display auf der Beifahrerseite Einen toten Winkel gibt es mit OptiView nicht mehr.

Testfahrten wie diese sind für beide Seiten spannend. Der Journalist erfährt, welche Trends die Branche prägen, und kann seine Leser frühzeitig über Neuigkeiten informieren. Für das Unternehmen ist die Reaktion auf die Probefahrt ein Indiz dafür, wie Innovationen bei den Kunden ankommen werden. Freilich hat Burgdorf nur einen Ausschnitt der Neuerungen für das Modelljahr 2022 gesehen. Über OptiView hinaus werden neue Assistenzfunktionen erhältlich sein: etwa der neue Spurwechsel-Kollisions-Vermeidungs-Assistent LCCPA, der aktiv eingreift, wenn beim Spurwechsel ein Unfall droht; oder ein elektronischer Regler namens MAN CruiseAssist, der auf Autobahnen selbstständig lenkt, beschleunigt und bremst. Für digitale Dienste wie MAN Perform und MAN ServiceCare entwickelten die Ingenieure neue Features, zum Beispiel automatisierte Flotten- und Fahrerreports und ein proaktives Wartungsmanagement.

OptiView im Härtetest

Für den Journalisten Burgdorf ist es deshalb besonders wichtig, OptiView einem echten Härtetest zu unterziehen. Über die A99 fährt er zum ProfiDrive-Gelände in Ismaning, das Platz zum Rückwärtsfahren, Aufsatteln und Rangieren bietet. Was ihm gefällt: „Die Kamera hat ein so weites Feld, dass der Fahrer immer das Heck im Blick haben kann. Das ist beim Rangieren sehr hilfreich und beim Abbiegen auch.“ Besonders interessiert ihn, wie sich die Hilfslinien bewähren, die sich Fahrer auf den Displays anzeigen lassen können. Sie markieren zum Beispiel das Ende des Aufliegers und unterstützen beim zentimetergenauen Andocken an der Rampe. Für Burgdorf funktioniert das Prinzip: „Zielsicher rückwärts Rangieren ist damit einfacher.“ Andere Linien helfen, ausreichend Abstand beim Überholen einzuhalten oder Engstellen zu passieren. „Der Fahrer kann die Breite seines Lkw einstellen“, erklärt Burgdorf. „Er sieht, wo er durchpasst.“ Damit reduziert sich auch das Risiko von Bagatellschäden.

Voraussetzung ist, dass die Fahrer mit dem System versiert umgehen können. Burgdorf empfiehlt, sich Zeit zu nehmen für eine intensive Einführung, damit die Anwender später alle Möglichkeiten der Innovation nutzen können. „Da geht es nicht um einen Tag, eher um eine halbe Stunde“, glaubt er. Davon dürften vor allem Fahrer profitieren, die sich schwer tun mit der Digitalisierung. Der Journalist zeigt dafür Verständnis. „Es stimmt ja, im ersten Moment ist es ungewohnt. Aber man muss dem Neuen eine Chance geben. Und Leute, die Spaß haben an so einem System, gibt’s ja auch.“ Die anderen überzeugt vielleicht ein weiterer Gewinn an Sicherheit: Selbst bei geschlossenen Gardinen kann man sich künftig per Kamera vergewissern, ob draußen alles in Ordnung ist.

Mehr über das innovative Spiegelersatzsystem OptiView erfahren Sie im Interview mit dem Entwickler Albert Zaindl.

Text   Christine Mattauch
Fotos   Jonas Nefzger

#Assistenzsysteme#Lkw#TGX

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